Ansprache von Bischof Hrdlička am 14.6.2019

Freunde, mit großer Demut wage ich nach dem Verhallen des Wortes Gottes ein paar menschliche Worte auszusprechen um der Erinnerung an eine geschätzte Seele die Ehre zu geben, von der wir uns verabschieden und die die Schwelle in die Fülle überschritten hat.

Schon als das Leben der verstorbenen Sr. Marta Kaniová sich zum Ende neigte, suchte sie aus der Hl. Schrift jene Texte aus, von denen sie wollte, dass sie bei ihrem Requiem erklingen. Dieser Augenblick ist gekommen und wir haben gerade die Abschnitte gehört, in denen gleichsam das Vermächtnis dieser unserer Schwester ist, die bei den Fundamenten der Ent­stehung der Ordensgemeinschaft der Schwestern Jesu gestan­den ist, gemeinsam mit dem Gründer, dem Jesuiten P. Robert Kunert, von dem wir uns vor kurzer Zeit ebenfalls hier in der Ka­thedrale verabschiedet haben.

In der ersten Lesung haben wir die Worte einer unerschütter­lichen Hoffnung eines Menschen gehört, der ge­glaubt hat. Paulus sagt: Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Keiner von uns lebt sich selber und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Dieser Aufruf hat sicher das Herz von Sr. Marta auch in jenen Momenten der großen Gnade durchdrungen, als sie sich vor vielen Jahren entschieden hat, sich selber ganz und gar auf Leben und Tod dem Herrn anzu­bieten.

Sicher erinnern wir uns, dass im Evangelium nach Johannes zweimal etwas Wichtiges über Marta erwähnt wird. Es ist in Zusammenhang mit dem Haus, wo die Schwestern Marta und Maria in Bethanien mit ihrem Bruder Lazarus gewohnt haben, den Jesus von den Toten auferweckt hat. Einmal, als Jesus ihr Haus besucht hat, hat Marta ihm große Gastfreundschaft erwie­sen. Sie hatte viel Arbeit mit der Bedienung, um Jesus das Beste vorzubereiten, was das Haus hat. Maria, ihre Schwester, setzte sich Jesus zu Füßen um seinen Worten zuzuhören. Da­mals forderte Marta den Herrn auf, Maria zuzureden und sie zu schicken, dass sie bei der Bedienung helfe. Aber Jesus antwortete ihr, sicher liebevoll: Marta, du bist achtsam und fürsorglich. Aber er fügte hinzu, dass Maria den besten Teil erwählt habe, der ihr nicht weggenommen werde.

Es scheint, dass diese Worte eher ein Tadel Marta gegen­über sind, aber dabei ist es schön, zu Jesus gastfreundlich zu sein. Man kann diese Worte auch als Lob nehmen. Wenn näm­lich Jesus von jedem von uns – von dir, von mir – sagen könnte: du bist achtsam, du bist fürsorglich. Oft nämlich können wir viele Dinge im Dienst Gottes mehr oder weniger vernachlässi­gen und eher unbekümmert sein als sich Sorgen um seine Inte­ressen zu machen.

Aber dann ist hier die zweite Geschichte, wo gerade Marta vor Maria hervorragt. Lazarus starb bevor Jesus aus der Ferne und zu Fuß nach Bethanien kommen konnte. Und als er kam, schreibt Johannes, dass Marta ihm entgegenging. Maria blieb zu Hause. Es kann uns scheinen, dass diese kleinen Sätze dort gleichsam nur wie eine Ergänzung sind. Aber in der Heiligen Schrift ist nichts zuviel, alles hat sein Geheimnis. Was ist bes­ser, Freunde? Wenn Jesus kommt, zu Hause zu bleiben oder ihm entgegenzugehen? Und diesmal ist es Marta, die den besse­ren Teil erwählt. Denn dadurch entwickelt sich ein Dialog zwischen Marta und Jesus, der auf grundlegende Weise Hoff­nung einflößt und uns befreit von der Angst vor dem Tod.

Marta fragt: Herr, wenn du hier gewesen wärest, wäre mein Bruder nicht gestorben. Eine ganz kühne und aufrichtige Frage an Jesus. Bis heute sagen die Menschen, manchmal zweifle­risch, manchmal vielleicht halb lästernd: Wenn es Gott geben würde, gäbe es nicht Tod und Sterben. Und Jesus tadelt Marta diesmal nicht, sondern im Gegenteil als ob er auf diese Frage gewartet hätte, denn wer Gott fragt, der bekommt Antwort. Und er gibt für alle Zeiten Antwort auf diese drückendste aller Fra­gen in unserem Leben, denn alle auf unsere Weise haben wir Angst vor dem Tod und dem Schicksal des Sterbens. Jesus sagt: Wer an mich glaubt, auch wenn er stirbt, wird leben. Kann man kürzer und klarer die höchste Hoffnung für uns alle aussprechen, die wir uns von unseren Nächsten verabschieden? Und Jesus sagt Marta noch: Glaubst du das? Und sie sagt ohne Zögern: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes und der Erlöser.

Und so können auch wir bei der Erinnerung an unsere liebe Schwester Marta, jeder im Herzen, diese Bitte aussprechen: Möge auch ich, Herr, dir entgegengehen. Möge auch ich, Herr, immer auf dich zueilen. Möge auch ich bekennen, dass du mein Herr und Erlöser bist, an den ich fest glaube und der mich auferweckt am Letzten Tag.

Es gibt einen schönen alten lateinischen Spruch, zwei Worte: „Nomen omen“. Worte, die bedeuten „Name – Zei­chen“. Möge sich das auch am Ende der irdischen Pilgerschaft von  Schwester Marta Kaniová, der Mitbegründerin der geschätzten Gemeinschaft, erfüllen, deren Tod bedeutet, dass sie darin Je­sus entgegengegangen ist, den sie von ganzem Herzen geliebt und dem sie sich ganz hingegeben hat.

Übersehen wir in dem Abschnitt auch nicht die Worte, dass Jesus am Grab des Lazarus geweint hat. Wir sehen einen Gott, der weint mit den Weinenden, genauso wie er sich freut mit den Fröhlichen. Und wir spüren bei diesem Abschied die Tiefe der Trauer über den Verlust eines nahen Menschen und einer ver­wandten Seele, aber wir verspüren auch Freude über das Errei­chen des Zieles, weil sich der Lebensweg unserer Schwester Marta erfüllt hat. Herr, tröste auch uns und öffne unserer Schwester die Heimat im Himmel.